Versuche ohne Grenzen

Frontal21 vom 17. September 2002

Genmanipuliertes Mais-Saatgut: In der Bundesrepublik wird es in so genannten Freisetzungsversuchen getestet. Zuletzt hat das Bundessortenamt 50 Tonnen des genmanipulierten Mais-Saatgutes zur Aussaat in Deutschland freigegeben.

In Wölfersheim im Maintal entdecken Mitarbeiter der Umweltschutzorganisation Greenpeace ein unangemeldetes Gen-Maisfeld – mitten in Deutschland. Greenpeace stellt Warnschilder auf, denn dort wächst gentechnisch manipulierter Mais – heimlich und unerlaubt. Der darf aber nur unter wissenschaftlicher Kontrolle angebaut werden. Davon kann dort nicht die Rede sein. Greenpeace-Untersuchungen beweisen: Diese Maispflanzen enthalten verändertes Erbgut. Die Umweltschützer schlagen Alarm.

Ulrike Brendel, Greenpeace-Sprecherin: "In unmittelbarer Nähe befinden sich normale Maisfelder, in diese kann sich der Gen-Mais ausbreiten. Auf die Nachfrage von Greenpeace bei den zuständigen Behörden verstricken diese sich in Widersprüche. Dies zeigt, hier gibt es keinen Überblick mehr. Und das betrifft nur einen Acker, das kann man auch auf andere Fälle in Deutschland womöglich übertragen."

Gentechnik nicht mehr zu stoppen

Was kaum jemand ahnt: Schon heute kommen 60 bis 70 Prozent unserer Lebensmittel mit Gentechnik in Berührung. Das heißt, sie enthalten gentechnisch veränderte Organismen, zum Beispiel Öle, Eiweiß aus Gen-Soja oder künstlich hergestellte Enzyme.

Und das wird noch weiter zunehmen. Einen Blick in die schöne neue Welt der Gentechnik erlaubt Importware. In kanadischen Honigsorten fand Greenpeace Gen-Raps. In Deutschland verboten, steht er trotzdem bei uns im Regal – ohne jede Kennzeichnung. Denn seit sechs Jahren wird in Kanada ohne Einschränkung genmanipulierter Raps angebaut. Und der hat sich inzwischen sehr weit ausgebreitet. Bio-Bauern sagen, dass es ihnen deshalb nicht mehr möglich ist, gentechnikfreien Raps anzubauen. Sie fürchten daher um ihre Existenz.

In ihrer Not klagen die kanadischen Bauern gegen die Gentechnik-Konzerne Bayer und Monsanto. Sie hoffen, dass Europa aus ihrem warnenden Beispiel lernt. Hart Haidn vom Canadian Centre for sustainable agriculture: "Europa muss wissen, dass es eine Koexistenz von genmanipulierten Sorten und traditionellen nicht geben kann. Denn wenn immer eine Verbreitung möglich ist, wird sie auch eintreten."

Wer haftet für Schäden?

Doch die Schäden ihrer Bioäcker müssen die Kläger vor Gericht beweisen und, was noch schwerer ist, die Gen-Saatmultis als Verursacher überführen. Hart Haidn begründet ihre Klage: "Keine Firma kauft mehr biologischen Raps, weil wir die Reinheit nicht mehr garantieren können. Und wir wollen natürlich auch feststellen, wer haftet für diese Schäden - in der Vergangenheit und in der Zukunft. Das ist etwas, das völlig ungeklärt ist. Wir sind eben der Meinung, dass Bayer und Monsanto und andere Firmen, die mit Gentechnologie befasst sind, auch für die Ausbreitung verantwortlich sind, und damit auch für die Schäden, die entstanden sind."

Vor diesem Hintergrund machen sich auch immer mehr deutsche Gemeinden Sorgen – aus gutem Grund. Zum Beispiel: Blomberg, Lippe. Seit das Bundessortenamt 50 Tonnen Gen-Mais bundesweit zum Verkauf freigab, herrscht helle Aufregung. Denn niemand weiß, wohin diese Gensaat geliefert wurde, wer sie wo einsetzt.

Die Gemeindevertreter befürchten die Gefahr wilder Ausbreitung wie in Kanada. Sie fragten bei den Konzernen an, ob auch ihre Gemeinde beliefert wurde. Doch sie erhalten keine Auskunft, wie Klaus Geise von der Gemeinde Blomberg erklärt: "Es waren allgemeine Schreiben mit unterschiedlichem Tenor, wie zum Beispiel Datenschutz müsste berücksichtigt werden und ähnliche Dinge. Dies war für uns wenig erbaulich, weil es wenig konkret war. Nicht zuletzt auch deshalb wenig erbaulich, weil wir einen Beschluss gefasst haben, dass im Gemeindegebiet der Stadt Blomberg mit genmanipulierten Organismen und Produkten nicht gearbeitet werden soll."

Die Gentech-Konzerne wollen vor der Kamera keine Stellung nehmen. Sie begründen das gegenüber Frontal21 einheitlich damit, dass "wir das Format der Sendung für eine fundierte Auseinandersetzung in dieser Fragestellung nicht als geeignet ansehen." Und sie begründen, warum sie die betroffenen Gemeinden nicht informieren: "Wir haben auf diese Anfragen reagiert, gleichzeitig aber deutlich gemacht, dass wir Details, die missbräuchlich genutzt werden können, nicht weitergeben wollen und können."  

Auf Initiative der Blomberger Grünen beschloss die Gemeinde einstimmig: keine Gen-Saat in Blomberg. Eine eher hilflose Geste, wie sich zeigt. Denn womöglich wächst der Gen-Mais längst schon auf dem Nachbaracker. Doch eine Überprüfung findet nicht statt. Hans-Ulrich Arnecke, Sprecher des Blomberger Aktionsbündnisses: "Insofern sind die Schreiben der Saatgutmultis eigentlich eine Frechheit. Hier wird sich auf Datenschutz berufen, hier wird mit Unterstellungen gearbeitet. Und wir wissen doch, die Mehrheit der Landwirte wollen Gentechnik nicht auf ihren Feldern. Die sehen die Gefahr der Auskreuzung für benachbarte Felder. Insofern denke ich, haben die Bürger ein Recht, informiert zu werden, bevor hier einzelne Felder mit genmanipuliertem Saatgut bearbeitet werden."  

Das moralische Recht haben sie schon, aber das gesetzliche eben nicht. Zwar wird eine entsprechende EU-Richtlinie gerade in deutsches Recht umgesetzt – doch das kann dauern. Bis dahin herrscht Unsicherheit. Bio-Bauern und konventionelle trifft das gleichermaßen. Sie fürchten, am Ende die Dummen zu sein – wie ihre kanadischen Kollegen.

Vermischung ist unvermeidbar  

Gerhard Lödige ist seit 30 Jahren Bio-Bauer in Westfalen: "Das Problem ist, wenn der Nachbar Gen-Mais anbaut und meine Kulturen stehen daneben, dass die Gene überspringen, ob das nun beim Mais ist oder Raps ist. Die veränderten Gene können auch auf Unkraut überspringen, was auch noch nicht erwiesen ist, dass das nicht passiert. Und dann kriegen wir ganz extreme Unkräuter, wo wir heute noch gar nicht mit rechnen können."  

Diese Gefahr sieht auch Thomas Dosch vom Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): "Wenn gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden, kommt es zu einer Vermischung und wir können Gentechnikfreiheit nicht mehr garantieren. Und die vielbeschworene Wahlfreiheit der Verbraucher wäre de facto nicht mehr gegeben."  

Das schwant auch der Ministerin Renate Künast. Noch, sagt sie, gibt es das so genannte Moratorium, das den Anbau von Gen-Pflanzen EU-weit bis auf Ausnahmen verbietet. Aber das läuft bald aus. Darum fordert sie, dass demnächst überall Gentechnik draufstehen muss, wo Gentechnik drin ist: "Wir brauchen dringend eine Kennzeichnung und vorher darf das Moratorium nicht aufgehoben werden und ich bin froh, dass andere EU-Länder da auch nicht mitmachen. Obwohl sich die Kommission einmal fast schon dem Druck der USA hingegeben hat, es ist dringend wie nichts sonst dringend ist."

Verbraucher oft ahnungslos  

Auch wenn die Lebensmittel womöglich ab 2003 gekennzeichnet werden müssen, gilt das nicht für die bereits Produzierten, die jetzt schon im Regal liegen. Der Verbraucher ist ahnungslos. Wie Gentechnik auf Menschen wirkt, wissen auch die Fachleute nicht. Die Bundesforschungsanstalt für Ernährung räumt ein, dass "kaum Erfahrungen mit gentechnisch erzeugten Lebensmitteln vorliegen". Die Bundesbehörde unterstützt die Forderung der Ministerin nach mehr Information. Denn in naher Zukunft werde wohl immer mehr Gentechnik ins Essen gelangen. Aber dann könnten die Verbraucher wenigstens im Kleingedruckten nachlesen, was sie jetzt schon konsumieren.