Vor einigen Tagen schrieb mir ein wahlberechtigter Mitbürger, er überlege sich ernsthaft, ob er an der Bundestagswahl überhaupt noch teilnehmen werde. Diese Andeutung ausgerechnet aus der Feder eines Menschen, der mit kritischem Sachverstand und guten Anmerkungen seit Jahren argumentativ um das beste Förderprogramm für die Solarenergie kämpft, hat mich mehr bestürzt als so manche Schreckensnachricht der vergangenen Jahre.
Als momentaner Reflex der Enttäuschung mag eine solche Haltung ja durchaus verständlich sein: Lobbyismus, Korruption, Filz und kleinliches, würdeloses Parteiengezänk, vor allem aber der scheinbare Mangel an inhaltlichen Alternativen haben vielen Menschen jegliche Begeisterung für die Politik geraubt, ihnen das Gefühl gegeben, es sei ohnehin egal, wen man wähle. Insofern wäre es eigentlich Aufgabe der Parteien, sich die zunehmende Wahlmüdigkeit als stummen, aber verzweifelten Protest der Resignierten zu Herzen zu nehmen. Die Hoffnung, daß dies geschieht, ist wohl oftmals auch das tiefere Motiv für Wahlenthaltung. Doch die Erfahrung zeigt, dass Gruppen, die ihre Anliegen von der Politik nicht hinreichend vertreten sehen und die diese daher mit Wahlenthaltung "bestrafen" bzw. aufrütteln wollen, nur noch weiter an Einfluß verlieren, was dann in einem wahren Teufelskreis die Enttäuschung nur noch steigert.
Beispiel USA: 1992 gingen nur noch 32% der Personen mit weniger als 5.000 Dollar Jahreseinkommen zur Wahl, jedoch 80% derjenigen mit mehr als 50.000 Dollar. Seitdem hat sich die amerikanische Sozialpolitik eher noch mehr an den Interessen der Reichen ausgerichtet. Den Armen hat der Protest durch Wahlenthaltung nichts genützt.
Soviel zum "Aufrütteln" durch Wahlenthaltung.
In unserem Fall der Energiepolitik ist außerdem der erste Eindruck falsch, es gebe keine wirklichen Alternativen mehr. Das Gegenteil gilt: Die Gegensätze zwischen den beiden gebotenen Alternativen könnten kaum krasser sein:
Es handelt sich um die Alternativen:
Energiewende
Ja oder Energiewende Nein?
Wir erleben einen dramatischen Interessenkonflikt zwischen den Vertretern der konventionellen Energiewirtschaft und den Befürwortern einer Energiewende. Welche der beiden Möglichkeiten sich durchsetzen wird, hängt dabei nicht vom Stand der Technik ab, sondern fast ausschließlich von den politischen Rahmenbedingungen.
In Großbritannien z. B. gilt das bekanntermaßen ineffektive Quotensystem für die Windenergie, welches trotz bester Windverhältnisse nur zu einem unbedeutenden Ausbau der Windenergie geführt hat. In Deutschland dagegen hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) die Deutschen zum Weltmeister in Windenergie gemacht. Die Windenergie stellt in Deutschland inzwischen mehr Arbeitsplätze bereit als die Atomenergie.
Die politischen Rahmenbedingungen, wie das bremsende Quotensystem oder das weltweit vorbildliche EEG, ergeben sich in Deutschland nicht aus einer Volksabstimmung oder einem Volksentscheid (die CDU/CSU hat vor wenigen Tagen im Bundestag ein Gesetz zur Einführung des Volksentscheides zu Fall gebracht).
In Deutschland werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen vom Bundestag erlassen. Entscheidend ist deshalb die Mehrheit im Bundestag!
Die Bundestagsfraktionen haben zur grundsätzlichen Frage: Energiewende Ja oder Nein in ihren Wahlprogrammen eindeutig Stellung bezogen. Das Ziel ist klar, auch wenn die Formulierungen zu einzelnen Details manchmal nur schwer zu verstehen sind.
Was soll z. B. der mit der Technik nicht vertraute Mensch damit anfangen, dass die CDU/CSU ihre Hoffnung auf fossile Kraftwerke setzt, "die unter Einsatz modernster Technologie CO2-arm bis sogar CO2-frei werden können;" (So wörtlich in ihrem Regierungsprogramm). Wir kennen kein solches Verfahren! Unsere erstaunte Anfrage beim energiepolitischen Sprecher der CDU, Kurt-Dieter Grill, vom 22.05. mit welchem Verfahren Kohle CO2-frei verbrannt werden könne, wurde bisher erwartungsgemäß auch nicht beantwortet. Hier soll offenbar der wegen des CO2-Problems besorgte Wähler durch eine wohltönende (aber unhaltbare) Versprechung in Sicherheit gewiegt werden.
Schwarz/Gelb hat mehrfach deutlich gemacht, dass sie im Falle eines Wahlsieges das "rot-grüne" EEG abschaffen werden. Schon bei der Abstimmung März 2000 im Bundestag haben CDU/CSU sowie FDP gegen das Erneuerbare Energien Gesetz gestimmt. Jetzt hat am 7.6.02 die Fraktion der CDU/CSU im Bundestag den offiziellen Antrag gestellt, den 350 MW-Deckel für die Photovoltaik im EEG nicht auf 1000 MW zu erweitern, wie dies die rotgrüne Koalition vorhat, sondern ihn beizubehalten. Und der energiepolitische Sprecher der FDP hat sich am 5. Juni 02 in ähnlicher Weise geäußert. Die Vergütung für die Photovoltaik hat er als Dauersubvention bezeichnet, die von der FDP nicht mitgetragen werde.
Diese Informationen sollten deutlich gemacht haben, wie eindeutig inzwischen die Politiker von Schwarz-Gelb den weiteren Ausbau der Photovoltaik abbremsen wollen, und wie irrational und verzweifelt, ja geradezu selbstzerstörerisch die Idee ist, durch Wahlenthaltung hieran etwas ändern zu wollen.
Mit freundlichen Grüßen