Beschluss der Bundestagsfraktion und des außerordentlichen Parteirats von Bündnis 90/Die Grünen
zu den Attentaten in den USA:
- Die entsetzlichen Angriffe, die am 11.09.2001 auf die Vereinigten Staaten von Amerika verübt wurden, waren ein menschenverachtender Anschlag gegen die Werte einer offenen, zivilen Gesellschaft, für die wir eintreten. Diese Angriffe haben weltweit lähmendes Entsetzen, Trauer, Wut, große Sorge hervor gerufen, aber auch zu einer starken Welle der Solidarität mit den Opfern, ihren Angehörigen und dem ganzen amerikanischen Volk geführt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind Teil dieser Solidarität.
- Wir unterstützen die Forderung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, dass die Verantwortlichen des Massenmordes, die Organisatoren wie die Sponsoren ausfindig gemacht und zur Rechenschaft gezogen werden. Wir unterstützen die Feststellung des Sicherheitsrates, dass Terrorakte als Bedrohung des internationalen Friedens bekämpft werden müssen.
- Die Regierung der USA hat angekündigt, dass sie hart auf die terroristische Aggression reagieren will. Sie hat zum Beispiel davon gesprochen, den Terrorismus "mit Stumpf und Stil auszurotten". Das hat in breiten Teilen der deutschen wie der europäischen Öffentlichkeit der Sorge Nahrung gegeben, eine zu wenig besonnene Reaktion der USA könnte am Ende die Rechnung der Terroristen aufgehen lassen, die auf eine Eskalation der Gewalt setzen. Vor diesem Hintergrund unterstreichen wir das legitime Recht der USA zur Selbstverteidigung auf der Basis der Charta der Vereinten Nationen. Glaubwürdig ist rechtsstaatliche Demokratie aber nur, wenn sie bei der Ermittlung und Bestrafung der Täter ihre eigenen Prinzipien nicht verletzt. Das Völkerrecht deckt Rache nicht ab; eine davon geprägte Eskalationsstrategie lehnen wir ab. Jedes mögliche Vorgehen muss begleitet werden von einem politischen Konzept, das über den Tag hinausweist und ein Angebot enthält zur wirksamen Behandlung der Konflikte, aus denen sich die Gewalt speist. Wir fordern eine grundsätzliche Neuausrichtung der Sicherheitspolitik. Dabei muss im Vordergrund stehen, wie neuen globalen Bedrohungen durch Krisenprävention, durch zivile Konfliktbearbeitung, durch die Schaffung globaler Gerechtigkeit und die faire Lösung von Regionalkonflikten begegnet werden kann.
- Die USA haben sich nach der nationalen Tragödie an den NATO-Rat gewandt mit dem Antrag nach Artikel 5 des Washingtoner Vertrages den Bündnisfall festzustellen. Der NATO-Rat hat am 12.09.2001 einstimmig für den Fall, dass die Ermittlungen zu den Terroranschlägen ergeben, dass diese von außerhalb der USA gesteuert wurden, die Anwendung des Artikel 5 des NATO-Vertrages festgestellt. Zum ersten Mal hat die NATO damit einem Mitglied formell Hilfe gegen einen bewaffneten Angriff zugesagt, militärische Hilfe gegebenenfalls eingeschlossen. Dem hat auch die Bundesregierung zugestimmt. Dies war eine sehr schwere Entscheidung. Aber: Angesichts der terroristischen Angriffe auf US-Bürgerinnen und Bürger können wir der Inanspruchnahme des Bündnisfalles nicht widersprechen.
- Die Annahme des Bündnisfalles bedeutet nicht schon eine Entscheidung für die Teilnahme an militärischen Planungen oder Aktionen der USA. Die Annahme des Bündnisfalles hebt nicht die Verpflichtung der deutschen Seite auf, in eigener Verantwortung und unter Beachtung der verfassungsmäßigen Regeln wie insbesondere des Parlamentsvorbehaltes selbst zu entscheiden, welche Hilfe mit welchen Mitteln sie für notwendig hält, um die Sicherheit wiederherzustellen und aufrecht zu erhalten.
- Die weltweite Betroffenheit, die durch die terroristische Gewalt ausgelöst wurde, hat plastisch deutlich gemacht, wie weit die Welt, in der wir leben, zu einer Welt zusammenwächst. Wir wenden uns entschieden gegen alle Versuche, diese Betroffenheit auszuschlachten, um mit Strategien der Abschottung, der nationalen Borniertheit und Fremdenfeindlichkeit autoritäre Politik zu betreiben. Zivile und offene Gesellschaften vertragen keinen Kampf der Kulturen. Sie beruhen auf der Vielfalt der Kulturen und der Religionen. Jedes Versäumnis im Dialog der Kulturen, vor allem mit der islamischen, jedes Versäumnis bei der Verbesserung der Lebensbedingungen in jenen Ländern, die heute Brutstätten des Terrorismus sind, holt uns ein. Abschottung ist eine rückwärtsgewandte - Illusion. Wir stehen weiter zu unserer Vision einer Völkergemeinschaft weltoffener Demokratien. Dazu gehört nicht nur die Bereitschaft, zur Verteidigung einer weltoffenen Demokratie dem Terrorismus zu widerstehen. Es gehört auch dazu, ihm den politischen Boden zu entziehen durch Förderung von Menschenrechten, Demokratie, Toleranz und internationaler Gerechtigkeit. Dafür treten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein.
Berlin, den 13. September 2001