Kommentar:
Es ist vollbracht. Nach einer nun schon über einen Monat währenden Hängepartie haben die beiden verantwortlichen Minister für das politische Missmanagement der BSE-Krise das Feld geräumt. So stürzten Fischer und Funke aus gleichem Anlass - aber die Ursachen für ihr Scheitern könnten verschiedener nicht sein.
Mit dem Landwirtschaftsminister tritt ein Politiker ab, dessen Vorstellung von seiner Aufgabe sich schon bei seinem Amtsantritt überlebt hatte. Schon vor der vergangenen Bundestagswahl war klar, dass die alte Agrarpolitik keine Zukunft hatte. Das ließ sich gut in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen nachlesen.
Die Kette der europäischen Lebensmittelskandale, von Antibiotika im Schweinfleisch bis zum Dioxin im Hühnerfutter, hatte längst bewiesen: Die Industrialisierung der Nahrungsmittel-Herstellung und die Trennung von Tierhaltung und Futterproduktion führt zu unkontrollierbaren Risiken. Und absehbar war auch, dass spätestens mit dem EU-Beitritt der osteuropäischen Staaten der organisierte Wahnsinn einer mit über 100 Milliarden Mark jährlich geförderten Überproduktion nicht mehr bezahlbar sein wird.
Beides hat Funke konsequent ignoriert. Der jüngste Streit über das richtige Reformkonzept, bei dem sogar sein Staatssekretär es lieber mit den Grünen hielt als mit ihm, war nur der letzte Beleg. Der Minister Funke war kein Reformer, sondern ein Bremser. Statt die Interessen der Verbraucher zu vertreten, kungelte er mit der Agrarlobby.
All das ist Andrea Fischer gewiss nicht vorzuwerfen. Sie scheute weder den Konflikt mit der Ärztelobby noch mangelte es ihr an mutigen Konzepten. Fischers Fehler war ihr zögerlicher Umgang mit dem Ministerialapparat und ihren Gegnern in der SPD-Fraktion. An letzterer scheiterte die Sanierung des Gesundheitswesens. An der Desorganisation ihrer Ministerialen scheiterte sie selbst. Falsche Rechtsauskünfte, verschleppte Warnungen aus Brüssel, brisante Dokumente, die auf dem Weg durch ihre Behörden wochenlang unterwegs waren, vermittelten den Eindruck einer überforderten Ministerin.
Dass nun ausgerechnet eine noch vergleichsweise
unverbrauchte Grünen-Politikerin über den BSE-Skandal stürzt,
ist in der Tat "bizarr", wie sie selber klagte. Denn Verantwortung
für die Ausbreitung der unheimlichen Seuche tragen die Grünen gewiss
nicht. Im Gegenteil: Die Grünen haben stets die Umkehr gefordert, Fischer
selbst hat frühzeitig versucht innerhalb der Regierung gegenzusteuern.
Insofern beweist Andrea Fischer mit ihrem Rücktritt politischen Anstand
und Verantwortung. Denn erst jetzt wird, wegen der verhängnisvollen Posten-Arithmetik
einer Koalitionsregierung, der Weg für eine neue Verbraucherpolitik frei.
Nur weil Fischer ging, konnte Kanzler Schröder auch Funke endlich gehen
lassen. Alles andere hätte die auf Posten wartenden Genossen der Bundestagsfraktion
in den Aufstand gegen ihren Kanzler getrieben. Fischer sei Dank - Rot-Grün
bekommt eine zweite Chance für die seit Jahrzehnten überfällige
ökologische Agrarreform.
Harald Schumann, SPIEGEL ONLINE 09.01.01